Warum ich kein GNTM mehr kucke

Vor 3 Tagen habe ich sie gesehen. Die erste Folge der 10. Staffel von GNTM.

Es sollte die 4. Staffel werden die ich gänzlich verfolgen wollte. Ich wollte mich dem Voyeurismus und der Sensationslust hingeben, gewürzt mit vereinzelten kleinen Phantasien in denen ich eins von „Heidis Mädchen“ wäre. Die Auseinandersetzung mit der Frage wie ich mich wohl an Stelle der „Mädchen“, wie Heidi sie immer nennt, anstellen würde. Ich selbst wollte wieder Juror sein, Über-Juror eigentlich, denn ich wollte ja beurteilen ob das, was die Jury so vom Stapel lässt denn überhaupt zutreffend, gerechtfertigt, fachmännisch und generell richtig oder falsch ist.
Nachdem ich die Vorfreude überstanden hatte war es am Samstag soweit. Laptop, Kaffee, Sofa, ProSieben.de.

Die Folge ging los. Mit der fortschreitenden Zeitleiste des Players machten sich kleine Unterschiede zu den letzten Staffeln die ich gesehen hatte bemerkbar: Es gab drei Kandidaten die aus dem Rahmen vielen. Diese drei stellen drei Schattierungen einer Farbe dar, die nicht die gleiche war, wie die der „Mädchen“. Zunächst war da eine junge Frau, die dereinst ein Mann gewesen war. Die „große Operation“ war schon passiert und sowohl äußerlich, als auch an der Stimme, gab es keine „verräterischen Anzeichen“. Sie trat vor die Jury und ihre Besonderheit wurde nicht bemerkt / thematisiert. Soweit so gut.
Die nächste Abstufung der Farbe möchte ich an dieser Stelle zunächst überspringen, da sie der eigentliche Auslöser für die vielen noch Folgenden Gedanken war.
Also zur letzten Schattierung. Es war ein, als solcher erkennbarer, Mann der vor die Jury trat. Er trug Nylonstrumpfhosen, High Heels und Bart. Seitens der Jury gab es Kommentare zu den tollen Beinen, Conchita Wurst und den Hinweis, dass man ja leider ein Mädchen suche.
Dann kam die Mitte zwischen den beiden. Ein Mann, der auch rein anatomisch noch einer war, sich aber als Frau inszenierte. Seine schmale Statur fiel zwischen den mageren Mädchen nicht weiter auf. Die Arme waren vielleicht etwas muskulöser. Er trat vor die Jury, wurde als Mann erkannt und auch hier wieder der Hinweis von Heidi, das ein Mädchen gesucht sei.
Jetzt passierte die kleine Erschütterung die meinen Stein ins Rollen brachte. Joop meldete sich zu Wort mit der Bemerkung das er ihn durchaus gerne im Bikini sehen würde (also in der nächsten Runde). Es gab eine Art von Diskusion mit Heidi aber das Ende vom Lied war, dass er gehen musste.

Ich war begeistert! Wie unglaublich viel interessanter wäre diese Show, wenn Frauen und Männer gleichermaßen teilnehmen könnten, und je nach eigenem Wunsch, oder Bedarf, als female oder male model auftreten könnten!

Obwohl, vielleicht wäre das ein wenig chaotisch. Vielleicht doch erst einfach mal „Germanys next male topmodel“. Ich stellte mir vor, wie junge Männer auf diesem Massencasting auf die Jury zustolzierten, sich auf die drehende Platte stellten und beurteilen ließen.
Ein Stich des Unbehagens durchfuhr meine Magengegend. Eigentlich will ich lieber nicht sehen wie sich da irgendwelche Männer erniedrigen lassen. Nein, also das geht echt nicht.

Denkpause.

An dieser Stelle aktivierte sich, quasi per Alarmknopf, meine innere Mega-Emanze und schrie mich an: „Ach, und bei Frauen kannst du das oder was ?!?!“
Scham. Überraschung. Wut. Scham. Wut!
Warum? Warum sah ich das so? Ich schätze mal es liegt einfach daran, dass ich diesen Anblick mit Frauen gewöhnt bin. Aber man kann sich ja umgewöhnen. Wenn Frauen sich im Modelcasting erniedrigen, dann kann es ja nur Gleichberechtigung sein, wenn Männer das auch tun. Also versuchte ich mir wieder GNTM mit „Jungs“ vorzustellen. Schon in diesem Moment tauchte das nächste Problem auf.

Jungs.

Die jüngsten „Mädchen“ die bei GNTM mitmachen sind 16. Das ist das Mindestalter. Ich stellte mir also vor, wie 16 jährige „Jungs“ sich in Badehose an einem Strand räkeln und versuchen sexy und männlich auszusehen. Meine Mimik veränderte sich bei dem Gedanken. Meine Oberlippe zog sich leicht nach oben, meine Augenbrauen schoben sich zusammen und ein latentes Gefühl von Widerwillen machte sich breit.
Ich fühlte mich pervers. Im negativsten Sinne des Wortes. Obwohl ich selbst nur 10 Jahre älter bin als die „Jungs“ in meinem Kopf gerade, kam ich mir vor wie das Klischee eines alten Mannes der sich im Schwimmbad an dem Anblick von Grundschülerinnen aufgeilt. GNTM mit „Jungs“ könnte ich also wohl eher nicht kucken.
Aber wie zum Teufel können dann erwachsene Männer GNTM kucken? Und dann auch noch mit ihren Freundinnen, Ehefrauen, Töchtern? Registrieren sie nicht, dass sie sich gerade an Minderjährigen aufgeilen? Oder wollen sie das nicht wissen? Und ja, ich nenne es aufgeilen. Denn, auch wenn nicht direkt dazu masturbiert werden sollte, so bleibt der Grund sich das anzuschauen immer noch ein zutiefst voyeuristischer.
Man schaut GNTM nicht „hauptsächlich“ oder „ausschließlich“ wegen der gelungen Sprüche der Juroren, der Kunstfertigkeit der Fotografen, der Schadenfreude an den Streitereien der „Mädchen“.

Am nächsten Tag hatte ich das Thema immer noch im Kopf.

Wenn es also daran lag, das ich mich selbst einfach zu oft mit Materialien mit ausschließlich weiblichen Models beschäftigt hatte, dann wollte ich mir jetzt ein paar männliche Models ankucken: Youtube. male fashion show paris 2015. Zunächst sah ich die Show von Versace. Die „Jungs“ die hier auftraten, waren muskulös und hatten eine Statur, will sagen, Breite der Schultern, etc. Im Anschluss sah ich die Show von Alexander McQueen. In jeder Hinsicht ein Kontrast.
Die „Jungs“ waren unfassbar mager. Ich konnte mich nicht auf die Kleidung konzentrieren, weil sich in mir das Bedürfnis ausbreite diese „Jungs“ zwangs zu ernähren. Ich empfand sie in keinster weise als männlich. Meine innere Emanze schrie wieder laut auf „Ach, aber wenn die mageren Mädels da rumrennen, dann findest du die doch auch total weiblich!“.

Das darf nicht wahr sein.

Wie kann es sein das die Bilder in meinem Kopf derart vermurkst sind, dass ich eine magere Frau als weiblich empfinde und einen mageren Mann als unmännlich? Ich meine, streng genommen haben sich deren Figuren kaum unterschieden. Wo ich also bisher jemand war der sagte: „Ja, ich kucke Topmodel, ich finde es unterhaltsam. “ und: „Ich weiß auch das es Mädchen gibt die wegen sowas Essstörungen entwickeln, aber das interessiert mich nur bedingt, denn GNTM ist da nur eine Ursache von vielen.“, sehe ich das Ganze jetzt doch etwas anders.

Ich werde die Bilder in meinem Kopf wieder gerade rücken.

Warum sollte ich mich länger Einflüssen aussetzen, die meine Denkweise derart manipuliert haben? Klar ist auch hier Topmodel nur eine von vielen Ursachen, aber eine der ich ohne weiteres aus dem Weg gehen kann.

Das Leben ist nicht fair wenn man vom Kekse essen Kopfweh bekommt…

Mittwochabend:

Meine Schwester hält es für nötig mich per Kurznachricht darüber zu informieren das sie jetzt Kekse haben will. Als große Schwester sah ich mich da natürlich in der Verantwortung ihr ein Foto von frisch gebackenen Keksen unter die Nase zu reiben.
Also Kekse backen. Eigentlich war es mehr sowas die „Teig zusammenprügeln“ . Kekse fertig, Foto geschickt, Schadenfreude genossen. Und dann beim Versuch einen der Kekse zu geniessen, der Beginn des Dramas.
Wenn einem seit zwei Tagen drei Zähne fehlen, dann geht das mit Keksen nicht so gut. Vor allem wenn die steinhart aus dem Backofen kommen. Nun gut, die eiserne Disziplin, aus Schmerz erwachsen, erlaubte es mir auf den nächsten Tag zu warten.

Donnerstagmittag:

Während ich zu Hause fleissig das Sofa warm halte, fällt mir im Augenwinkel ein angeknabberter Keks von gestern auf. Behutsam nehme ich den Keks in die Hand und drücke leicht zu…er ist weicher geworden! Vorsichtig breche ich ein Stück ab und versuche zu kauen. Wenn man den Begriff „kauen“ etwas weiter fasst, dann ist er durchaus passend. Ich erfreue mich also an dem Keks als die Gier erwacht. Es gibt noch mehr Kekse…in der Dose…in der Küche…die sind bestimmt auch weich…

Mein Bewusstsein wird von stechenden Kopfschmerzen wieder zum Leben erweckt. Wo kommt der Schmerz her? Er strahlt aus meinem Oberkiefer und pocht gegen die Schläfen. Vor mir sehe ich die Dose. Drei Kekse fehlen. Sie waren nicht weich. Nachträglich macht das auch Sinn, aber dummerweise erfordert das Ziehen von Konsequenzen mentale Anwesenheit.

Erkenntnis: Das Leben ist nicht fair, wenn man vom Kekse essen Kopfweh bekommt.

Bauaufseher und Gentleman

Es ist Donnerstag und der erste zweistellig temperierte Tag in diesem Jahr.

Die Sonne scheint und ich freue mich schon darauf gleich aus dem Auto ausszustiegen und die Baustelle zu begutachten. Heute ist es eine Kita. Wir sollen nur ein paar Türchen und eine Leiter abholen und etwas ausmessen.
Also alles entspannt.
Wir betreten das Gelände. Dachdecker, Maurer, Zimmerleute. Alle da. Das Gebäude, dessen sonderbare Architektur von dem Baugerüst noch unterstrichen wird, wirkt wie ein Abenteuerspielplatz. 30 Jungs toben hier und spielen mit ihren Eimerchen, Winkelschleiferchen, Bohrmaschinchen und Hämmerchen.
Einer der Jungs bemerkt wie wir das Grundstück betreten. In seinen zusammengekniffenen Augen und den nichtvorhandenen Lachfalten sieht man das er hier entscheidet wer mitspielen darf. Er macht nicht den Eindruck als würde es jeder an ihm vorbeischaffen. Er sieht den Altgesellen an und dann mich. Sein Blick lockert sich für den Bruchteil einer Sekunde um den Wechsel der Mimik zu einem leicht iriitierten Stirnruzeln und wieder zurück zu vollführen. Beeindruckende Gesichtsmuskulatur.
Wir sind im Gebäude.
Der „Einlass-Junge“ stellt sich uns als Bauaufseher vor, erklärt was, wo, wie und das er eigentlich selbst nicht so genau weiss.
Der Altgeselle möchte Wasserlassen. In dieses Geheimnis von gradezu staatstragender Wichtigkeit weihte er mich bereits vorher ein.
Ebendiese Ehre lässt er nun auch dem Aufseher zu Teil werden. Dieser führt uns durch das Labyrinth aus Betonsäcken, Baugerüsten und allem möglichen und unöglichen Krimskrams zu einem anderen Raum.
Im Moment des Erreichens des Ortes der die Erlösung für den Altgesellen bedeutet, regt sich plötzlich etwas in den Synapsen des Bauaufsehers was ihn dazu bewegt mit dieser Tätigkeit aufzuhören.
Er bleibt stehen, dreht sich abrput um , sieht vom Altgesellen zu mir und wieder zurück. Er hat eine Frage.
„Wer von euch muss denn?“
Wir Neuankömmlinge sehen uns kurz an, sind uns einig das nicht ich diejenige mit dem Geheimnis war und wollen ihm das gerade verkünden, da kommt eine Aussage die mich irritiert, einen Lachreiz hervorrufen möchte, abe in erster Linie meinen Kinnladen zu Fall bringt.
„Weil wenn sie nämlich muss dann putz ich vorher das Klo.“
„Äh…nein, nein….er muss….schon ok….aber danke…?“
„Weil, naja es sind ja hier doch 30 Männer und ein Klo“. Die Gesichtsmuskulatur des Aufsehers vollführt ein Kunststück das man vor allem aus Filmen kennt. Einen verschwörerischen Blick der sagen, nein schreien
will, das ich das schon richtig verstehe.

Der Altgeselle setzt Prioritäten und deshalb seinen Weg zum Klo fort. Wie kann er mich nur mit dieser Situation allein lassen.

Der Aufseher sieht mich immernoch so an und will wohl als Gegenleistung eine Reaktion dafür. Mir fällt nichts besseres ein als „Ähm…ja…nein, es ist schon alles in Ordnung so…nur keine Umstände, wirklich.“
„Aber das macht doch keine Umstände“. Das sind die Worte die dieser Mund formt während er sich gleichzeitig zu einem Lächeln verzieht das so vieles sagen könnte, aber in mir Ekel hervorruft.
Ich merke wie sich in meinem Inneren ein „Weiblichkeitszwangsverhalten“ einschaltet und meine Gestiken, meine Körerhaltung und meine Stimmlage unter Kontrolle bringt. Ich hasse es wenn das passsiert.
Bis eben war mein gesamter Körper noch geschlechtsneutral. Ich war ein Mensch in Arbeitskleidung. Kleidung die die weiblichen Rundungen verschleiert. Ein Mensch dessen Gangart von den Arbeitsschuhen bestimmt wird.
Einfach ein Mensch der arbeitet.

Jetzt bin ich eine Frau.

Ich schaue verschämt zu Boden und versuche mich aus dieser unangenehmen Situation zu lächeln. Mein Körper tut Dinge die ein Gegenüber, gerade ein solches Gegenüber, im Normalfall als schüchternen Flirt fehlinterpretiert. Ich will mich selbst anbrüllen damit aufzuhören, aber eine andere Stimme in mir schreit lauter. Halt die Klappe, es ist eh gleich vorbei!
Der Altgeselle muss ganz schön viel getrunken haben, denn er ist immer noch nicht zurück.
Während ich meinen Fuß anlächle der gerade dabei ist auf dem Boden zu scharren, registriere ich eine Bewegung in der Nähe. Ein strahlender Altgeselle maschiert freudestralhend und nun wieder breitbeinig auf mich zu. „So, kann losgehn.“ Gott sei Dank.

Wir sind um die Ecke. Der Altgeselle erläutert seinen Plan bezüglich der anstehenden Arbeiten und mein Gang normalisiert sich wieder. Ich bin oberflächlich belustigt über den putzwütigen Aufseher, aber eigentlich stock sauer.
Welches Recht nimmt er sich heraus mich in diese Rolle zu drängen? Warum konnter er mich nicht einfach links liegen lassen? Warum habe ich diese Situation geschehen lassen? Warum habe ich diese oftmals so kontraproduktive Form der Weiblichkeit nicht unter Kontrolle?
Ich will hier doch nur meine Arbeit machen und er hat es doch auch nur nett gemeint.
Aber das ging heute nicht. Wegen der Brüste. Und weil es Jungs gibt bei denen der Spieltrieb lauter ist als der Rest.

Motivation

Es ist 5:45 Uhr und mein Wecker klingelt.
Aufstehen, frühstücken und hinein in die Arbeitsklamotten. Latzhose, Sport-BH, Shirt, Baumwolljacke und natürlich Skiunterwäsche. Es ist März, aber immer noch zu kalt um auf der Baustelle ohne lange Strumpfhosen länger als 20 Minuten zu überleben.
Ich bin Lehrling.
Mein Lehrberuf hiefl früher mal Schlosser, aber das Arbeitsamt, nein, die Arbeitsagentur, denkt sich gerne neue Berufsbezeichnungen aus. Also werde ich später mal nicht Schlosserin, sondern Metallbauerin. Fachrichtung Konstruktionstechnik.
Und da Metallbauer nun mal fast immer männliche Zeitgenossen sind, gibt es in meinem Leben zur Zeit fast ausschliesslich Männer.
Aber wir leben ja zum Glück in einer Gesellschaft in der Frauen emanzipiert und der moderne Mann selbstredend das aufgeschlossenste Wesen unter der Sonne ist. Ich wage hiermit eine provokative Spekulation, auch auf die Gefahr hin die Männerwelt gegen mich aufzubringen, aber ich fürchte doch das es da tatsächlich Ausnahmen gibt.
Männer denen man Ihre tiefgründige Unterstützung und Akzeptanz für (hach…ich liebe diesen Ausdruck) „Frauen in männerdominierten Berufen“ nicht so ganz glauben will. Und wo es schon unter den Männern kaum abtrünnige Schafe gibt die den Pfand der Emanzipation skeptisch beäugen, da scheint es natürlich geradezu undenkbar das es eventuell , ganz vielleicht, Frauen geben könnte die ihren Brötchenverdienern da recht geben.
Diese kleinen Theorien möchte ich der Welt unterjubeln.
Die Hoffnung das vielleicht die eine oder andere Frau die sich auch auf das, zwar zum Teil erforschte, aber doch noch so unbekannte Territorium der Männerberufe wagt, in meinen Erfahrungen etwas wiederfindet oder entdeckt.
Es ist nicht mein Anliegen zur Verurteilen, ich möchte aufzeigen. Ein Bild von einer Realität die mir selbst manchmal so unwirklich vorkommt.
Zum Teil liegt mein Ansporn hierzu in einem Mangel an Weiblichem in meinem Leben begründet. Mit der Zeit wuchs dieser Mangel zu einem Bedürfnis heran das in mir den Drang weckte mich mit anderen Frauen in ähnlichen Situationen auszutauschen, von Ihnen lernen zu können. Gefunden hab ich bisher leider noch keine.
„Einfach machen“. Das sagte vor kurzem der Altgeselle in unserer Werkstatt zu mir. Zwar meinte er etwas völlig anderes, aber es hat seinen Effekt nicht verfehlt.