Der Host von Wikipedia

„Ich schau mal ob ich was darüber finde…“. Dieser Satz fällt in unserer Shadowrun-Runde immer mal wieder. Bisher war das in meiner Vorstellung ein schwarzes Loch. Ich stellte mir vor, wie unser Decker sich in die VR einklinkt und irgendwo tauchte dann das Wikipedia Logo auf. „Du findest einen Artikel in dem steht, dass…“, mehr war da nicht. Eigentlich schade, denn gerade bei der Ausgestaltung von Hosts kann ich mich als Spielleiterin so richtig austoben.

Um dieses schwarze Loch zu schliessen habe ich mir drei Fragen gestellt. Dieser Artikel widmet sich der Beantwortung der drei Fragen.

  • Wie fügt sich der Host in das Gitter ein?
  • Wie sieht er im Innern aus?
  • Welche Funktionen gibt es und wie werden sie genutzt?
Der Host im Ares Global Grid

Unser Decker verwendet zur Zeit das Ares Global Grid. Nach dem Quellenbuch „Datenpfade“ hat es das Mittelalter zum Thema. Das Problem bei der Sache: Im Mittelalter gab es keine klassichen „Orte des Wissens“ wie beispielsweise in der Antike. Aber es gab Abteien. Hier schrieben Mönche Texte ab und bewahrten somit Wissen für nachfolgende Generationen. Zwar gab es auch hier keine, für heutige Verhältnisse, beeindruckenden Bibliotheken, aber immerhin. Und so ist mein Wikipedia-Host im Ares Global Grid eine Abtei. Um sie zu erreichen, denkt  sich der Decker entweder vor seine Pforten, oder schlendert über Wiesen und Trampelpfade. Auf einem felsigen Hügel, der die umliegenden Dörfer leicht überragt, steht die Abtei. An einer Seite des Pfades, der in einem großen, geöffneten Eingangstor mündet, steht eine Statue.

Logo von Wikipedia
Logo von Wikipedia (CC BY-SA 3.0, Link zur Quelle )

Es ist ein Globus auf einem Sockel. Er besteht aus Puzzleteilen, die mit Glyphen verschiedener Schriftsysteme versehen sind. Einige Teile fehlen. Direkt neben der Statue steht auf einem weiteren Sockel eine Schale mit den fehlenden Teilen, doch im Unterschied zu den bereits Verbauten, tragen diese Teile keine Symbole. Man platziert eine Marke auf dem Host, indem man auf eines der Puzzleteile sein Symbol zeichnet und es an den unfertigen Globus puzzelt.

Durch das geöffnete Tor kann man einen Hof und ein paar der Gebäude der Abtei sehen. Sobald man durch das Tor geht, ist man im Inneren des Hosts.

Das Innenleben der Kugel

Nach dem Betreten des Hosts, steht man auf der Innenseite einer gigantischen Sphäre. Alles ist in gleichmäßiges, weißes Licht getaucht. Der Boden ist überzogen mit feinen blauen Linien, sie bilden die Puzzleteile und Glyphen. Ein erster Blick genügt um zu erkennen, dass die Gesetze der Physik hier getrost ignoriert werden können. Es gibt keine Teilfläche der Sphäre, die nicht irgendeinem Zweck dient. Den größten Teil der Fläche nehmen Regale ein, die bis zum Bersten mit Papierrollen gefüllt sind. Die Regale sind nicht in Reihen geordnet, sondern stehen vielmehr in Grüppchen zusammen. Diese wiederum sind völlig chaotisch über die ganze Fläche der Sphäre verteilt. Zwischen diesen Regelgrüppchen finden sich die verschiedensten Bereiche. Manche mit Arbeitstischen, manche mit Sofalandschaften, einer Café-Bar, usw.

Überall laufen Personas umher. Man kann beobachten wie immer mal wieder einzelne Personas an einer Seite der Sphäre in die Luft springen und auf der Gegenüberliegden Seite auf den Füssen landen. Doch das alles streift zunächst nur das Blickfeld. Hat man den Host betreten steht man direkt vor einem etwa kniehohen Tresen aus Holz. Hinter ihm steht ein kleines, weiß schimmerndes Menschlein. Es hat weder ein Gesicht noch besonders ausgeformte Extremitäten. Man könnte es ein „pummeliges Strichmännchen“ nennen. In einer Hand hat es eine Lupe, die so groß ist wie sein Kopf. Sobald man dem Menschlein gesagt hat wonach man sucht, rennt es in unfassbarer Geschwindigkeit weg. Fast instantan kommt es, mit einer Papierrolle in der Hand, aus irgendeiner Richtung wieder angerannt. Ob man nun im Stehen liest, oder sich per Gedanken, Sprung, oder tatsächlich zu Fuß, zu einer der Schreibtische oder Leseecken begibt, bleibt einem selbst überlassen. Egal wie man sich entscheidet, das Menschlein weicht einem nicht von der Seite.

mehr als nur Lesen

Entrollt man die Papierrolle, ist der erste Eindruck: Gewöhnlich, schlicht, unscheinbar. Beim Entrollen zeigt sich der Text, in der jeweils erwarteten Sprache, in schwarzer Schrift auf weißem Grund. Doch was wäre ein Wikipedia-Artikel im Jahre 2075 ohne Zusatzfeatures? Das am weitesten verbreitete ist die 3D-Funktion der Bilder. Berührt man eines, springt es vom Papier herunter, steht vor einem in drei Dimensionen und bewegt sich. Je nach den Einstellungen des SIM-Moduls und der hinterlegten Bilddateien, hört und riecht man das Bild auch. Man kann darum herumlaufen und es von allen Seiten betrachten, oder dem Bild sagen, dass es sich anders ausrichten soll.

Soviel zur Optik. Aber was ist, wenn die Motivation selbst zu lesen gerade im Keller ist?

Hat man keine Lust zu lesen, lässt man sich den Artikel einfach von dem Menschlein vorlesen. Dabei hängen die verwendete Sprache und Stimme nur von den eigenen Präferenzen ab. Für nur fünf Nuyen im Monat kann man sich die Artikel von einem Hologramm seines Lieblingspromis vortragen lassen. Die aktuellen Top 3 sind Lofwyr, Kleopatra und FastJack. (Das bleibt vermutlich noch ca. eine Woche lang so. Danach stößt wieder irgendein neuer Trend aus der Fleischwelt die aktuellen Top 3 vom Thron.)

Artikel einstellen und Korrekturlesen

Natürlich kann der Decker den Artikel, den er verfassen möchte auch irgendwo anders schreiben und dann einfach mitbringen. Viele Schreiberlinge schätzen aber den regen Austausch, die Atmosphäre und den Service im Schreibbereich des Hosts. Man erkennt ihn an den schier endlosen Mengen an altertümlichen Schreibmaschinen, die dort herumstehen. Will man einen Artikel schreiben, nimmt man sich eine der Maschinen, sucht sich eine „Ecke“ und beginnt zu tippen. Wer es bequemer oder schneller möchte, diktiert einfach dem kleinen, weißen Menschlein.

Zertifizierte Wikipedianer, die sich dem Korrekturlesen der Artikel widmen, erkennt man an den 1980er Jahre Brillen auf ihren Nasen. Und ja, auch Personas, die keine Augen im eigentlichen Sinne haben, tragen diese Brillen, wenn sie Korrekturlesen. Innerhalb des Hosts sind die Brillen bereits zum Statussymbol mutiert. (Die stolzesten Wikipedianer tragen sie mittlerweile auch in der physischen Welt.)

Stöbern, sich Verlieren, Lesen

Manchmal möchte man mehr. Mehr als ein einzelner Artikel hergeben kann. Stößt man beim Lesen auf etwas, über das man mehr erfahren möchte, wäre der schnellste Weg, um an die gewünschte Information zu kommen, das kleine Menschlein darum zu bitten den Artikel zu bringen. Aber manchmal will man eben noch mehr.

Da die Regalgruppen einzelne Themenbereiche darstellen, denkt man sich einfach zu den passenden Regalen hin. Oder man lässt sich vom treuen, kleinen Begleiter den Weg zeigen. Beim Schlendern zwischen den Regalen kann einem von deren unermesslicher Höhe schon ein wenig schwindelig werden. Da der Durchmesser der Sphäre endlich erscheint wenn man nicht gerade zwischen den Regalen steht, würde man erwarten, dass sie bei dieser enormen Höhe irgendwo die Sphäre durchstossen. Dass sie das nicht tun, liegt an den außer Kraft gesetzten Gesetzen der Physik. Würden sie gelten wäre es ausserdem nicht möglich die höheren Etagen der Regale einfach durch Schweben zu erreichen. Meist muss man aber ohnehin nicht furchtbar weit nach oben.  Die Schriftrollen mit den Artikeln die thematisch am nächsten an dem gesuchten Begriff liegen, erscheinen auf Augenhöhe und heben sich zusätzlich durch ein pulsierendes, zartblaues Leuchten von den anderen ab.

Damit man sich und die Zeit nicht komplett verliert, kann man den kleinen Begleiter bitten, einen nach einer bestimmten Zeit daran zu erinnern, dass man noch einen Körper in der physischen Welt um den man sich zwischenzeitlich auch kümmern sollte.

Schöne neue Welt

Wenn unser Decker also das nächste mal sagt: „Ich guck mal, ob ich etwas darüber finde…“, dann ist da kein schwarzes Loch mehr. Sondern eine Welt im Innern der weißen Kugel.

 


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